In den letzten Jahren wurden immer mehr Öffnungsklauseln in die tariflichen Vereinbarungen der deutschen Branchen eingeführt, die die Verhandlungskompetenz auf die Unternehmensebene verlagern und zu einer weiteren Dezentralisierung und Differenzierung der Tarifverhandlungen führen. Dies kann vor allem als Reaktion der Sozialpartner auf die wachsende Unzufriedenheit der Arbeitgeber mit dem deutschen Tarifsystem gesehen werden, die mehr unternehmensspezifische Regelungen zu den Arbeitsbedingungen fordern. Damit ist das deutsche Tarifverhandlungssystem viel flexibler als sein tatsächlicher Ruf. Als Folge dieser Entwicklungen ist es unter den Tarifparteien weithin anerkannt, dass die deutschen Tarifverhandlungen einige wichtige Reformen erfordern, um das System flexibler zu gestalten und differenziertere Lösungen zu ermöglichen, die den spezifischen Bedürfnissen der einzelnen Unternehmen entsprechen. Bisher hat sich jedoch nur eine Minderheit der Arbeitgeber um eine radikale Verlagerung der Tarifverhandlungen auf die Unternehmensebene bemüht. Im Gegenteil, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und sogar die Mehrheit der einzelnen Arbeitgeber wollen weiterhin am Grundsatz der Tarifverhandlungen auf Branchenebene festhalten, aber ihren Anwendungsbereich einschränken und gleichzeitig mehr Raum für (zusätzliche) Betriebsverhandlungen lassen. Die Gewerkschaft fordert, dass der Tarifvertrag die Unternehmen der Branche verpflichtet, ihren Anteil an den Direktbeschäftigten jährlich um 10 Prozent zu erhöhen. Es würde in der Tat nichts anderes sein, als die Einhaltung des Gesetzes zu gewährleisten. Ãœblicherweise werden Öffnungsklauseln auf Branchenebene zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden geschlossen. Grundsätzlich ermöglichen sie es den Unternehmen, unter bestimmten Bedingungen und bis zu einem gewissen Grad tarifliche Normen zu ändern oder von ihnen abzuweichen. In diesem Fall müssen die Tarifparteien auf Unternehmensebene – die Geschäftsführung und der Betriebsrat und/oder die örtlichen Gewerkschaften – eine gesonderte Vereinbarung schließen. Unter Berücksichtigung der Beziehungen zwischen den Tarifparteien auf Branchen- und Unternehmensebene gibt es zwei verschiedene Arten von Öffnungsklauseln: Die Folgen für die Arbeitnehmer sind jedoch eher unklar. Einerseits geht eine Abweichung von kollektiv vereinbarten Standards manchmal mit begrenzten Arbeitsplatzgarantien einher, zumindest für die Kernbelegschaft.
Andererseits besteht die eindeutige Gefahr, dass Öffnungsklauseln nur einen ersten Schritt hin zu einer dauerhaften Verschlechterung der Arbeitsbedingungen darstellen. Mit der Verlagerung der Verhandlungskompetenz auf die Unternehmensebene werden die Betriebsräte den stabilen Hintergrund von Branchentarifverträgen verlieren und eher den Arbeitgebern ausgeliefert sein, die Druck ausüben, Vereinbarungen über weitere soziale Zugeständnisse zu erzielen. Die Öffnungsklauseln für Löhne und Gehälter sind wahrscheinlich die umstrittensten, weil sie den Kern der Tarifverhandlungen auf Branchenebene betreffen. Seit langem ist es jedoch gängige Praxis, dass die Sozialpartner im Falle eines möglichen Konkurses beschließen könnten, von den kollektiv vereinbarten Zahlungen abzuweichen. In den jüngsten Tarifverträgen für die westdeutsche Metallindustrie gibt es eine Art “Allgemeine Klausel”, die es den Tarifparteien ausdrücklich erlaubt, abweichende Standards zu schließen, um eine Insolvenz zu vermeiden. Nach Angaben der Lebensmittel-, Getränke- und Catering-Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) stammt ein Drittel der 30.000 deutschen Schlachthofarbeiter aus Ost- und Südeuropa, abgesehen von denen, die in der Fleischverarbeitung und -verpackung tätig sind. “Verabscheute Sklaven in deutschen Schlachthöfen”, titelte die Süddeutsche Zeitung im Juni 2013. “Die Fleischindustrie nutzt die osteuropäischen Arbeitnehmer systematisch aus”, berichtete Die Zeit im darauffolgenden Jahr.